03. Januar 2011

Politik will Wartezeiten vorschreiben –
„Lieferscheinprinzip“ zur Arztkontrolle

Die schwarz-gelbe Koalition war angetreten unter anderem mit dem Versprechen überbordende Bürokratie in den Arztpraxen abzubauen. Die jüngsten Vorschläge aus dem Lager der CDU artikuliert durch den „CDU-Gesundheitsexperten“ Jens Spahn konterkariert dieses Versprechen und ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Mehrzahl der so genannten aus der Politik kommen-den Gesundheitsexperten eigentlich gar nicht wissen worüber sie reden.

Niemand in diesem Lande wünscht sich lange Wartezeiten, sowohl in Bezug auf einen Behand-lungstermin wie auch bei der Zeit im Wartezimmer. Im Gegensatz jedoch zum Zahnarzt, wo der Patient bekanntlich während der Behandlung trotz offen stehendem Mund nicht reden kann, womit der Zahnarzt in der glücklichen Lage ist, die vorher abgeschätzte Behandlungszeit auch tatsächlich einhalten zu können, meldet sich in der Frauenarztpraxis eine Patientin zur Krebs-vorsorge an, um dann aber neben der eigentlichen Vorsorgeuntersuchung viele andere persön-liche Lebensprobleme mit der Frauenärztin /dem Frauenarzt zu erörtern. Insofern verhält es sich mit der Forderung von Herrn Spahn um ein rein theoretisches Schubladenmodell, dass zumindest in der Frauenheilkunde so nicht umzusetzen ist.

Als weitere Neuerung will die Koalition das „Lieferscheinprinzip“ einführen. D.h. dass die Patien-tin in die Abrechnung mit einbezogen werden soll: Der behandelnde Arzt legt der Patientin eine Übersicht über die erbrachten Leistungen vor und erst wenn die Patientin diese Leistungsüber-sicht quittiert hat kann der Arzt abrechnen!

Spätestens hier wird klar, warum die Ärzte seit vielen Jahren nur noch als Leistungserbringer bezeichnet werden, scheinen sie doch nach Ansicht von Politik und Krankenkassen eine Lei-stung am Werkstück Patient abzuliefern, welche dieser dann zu quittieren hat. Gleichzeitig wei-gern sich Politik und Krankenkassen seit Jahren vehement das Kostenerstattungsprinzip einzu-führen. Denn nur dieses würde nicht nur Transparenz, sondern auch eine echte Kontrollfunktion durch den behandelten Patienten bedeuten. Solange die Patientin nicht wirklich an den Kosten beteiligt wird, interessiert sie dieses "Lieferscheinmodell" nicht im Geringsten.

Auch Kassenpatienten sollen zukünftig im Rahmen stationärer Behandlung ausschließlich in einem Zweibettzimmer untergebracht werden. Damit würde zum einen den Krankenhausträgern eine wesentliche Einnahmequelle durch die Zuzahlung für ein Zweibettzimmer weg brechen, zum anderen müsste die Mehrzahl der Kliniken in erhebliche Umbaumaßnahmen investieren. Woran mangelt es aber heute in den Kliniken? Es mangelt an der persönlichen Zuwendung gegenüber den Patienten, an Empathie und emotionaler Zuwendung, weil an allen Ecken und Enden Personal fehlt. Statt in Umbaumaßnahmen zu investieren sollte die Politik besser dafür sorgen, dass der Personalschlüssel an den Kliniken zum Wohle der Patienten so verändert wird, dass diese nicht nur als Fälle durch die Kliniken geschleust, sondern wieder mehr als Menschen behandelt werden.

Dr. Helmut Klemm

 


Schechen, 29.12.2010

• Brief an den Vorsitzenden der KVB Dr. med. Axel Munte
• Risikoprävention bei Kinderwunsch
• So lohnt sich Qualität

Neue Qualitätsmaßnahme mit der AOK Bayern zum 1.10.2010 (GOP 97020)

Sehr geehrter Herr Munte,

ich bin nicht mehr als niedergelassener Frauenarzt in eigener Praxis aktiv. Gott sei Dank habe ich meine Kassenzulassung zum 1.1.2008 zurückgeben können. Wir kennen uns aus gemeinsamen Tagen aus der Vorstandarbeit der KVB, als ich noch stellvertretender Vorsitzender der Bezirksstelle Oberbayern war.

Aufgrund meiner berufspolitischen Vergangenheit und meines Bekanntheitsgrades bei Gynäkologischen Praxen besonders in Bayern erreichte mich Ihr Schreiben zu o. g. Angelegenheit mit Datum vom 13.09.2010 vor einigen Tagen. Nach Studium des gesamten Vorgangs kann ich einfach nicht anders, als Ihnen diese Zeilen zu schreiben.

Sie sprechen von guten Nachrichten in schwierigen Zeiten, weil Sie mit der AOK Bayern Beratungsmaßnahmen für Frauen zur Risikoprävention bei Kinderwunsch vereinbart haben und dafür den Kolleginnen und Kollegen 10,- Euro ! anbieten. Haben Sie sich Ihre Formulierungen eigentlich wirklich gut überlegt? Was muten Sie eigentlich den Kolleginnen und Kollegen zu? Wahrscheinlich, und das sei zu Ihrer Ehrenrettung angemerkt, kennen Sie den Beratungsleitfaden zur Risikoprävention bei Kinderwunsch nicht. Wenn Sie diesen inhaltlich gemeinsam mit der dafür in Frage kommenden Patientin durcharbeiten, dann werden 15 Minuten dafür kaum ausreichen. Vergleichen Sie bitte Ihren Stundenlohn, worin sicherlich ein hoher Anteil an Schmerzensgeld enthalten ist, mit der Vergütung für diese neue Vereinbarung. Die Krone setzten Sie dem Ganzen mit Ihrer Formulierung auf: „So lohnt sich Qualität!“ Das Ganze läuft dann unter dem Dach der ausgezeichneten Patientenversorgung, als ob die niedergelassenen Frauenärztinnen und Frauenärzte nicht ohnehin als Selbstverständlichkeit eine ausgezeichnete Patientenversorgung tagtäglich in ihren Ambulanzen praktizieren. Zusätzlich müssen die Teilnahmewilligen Ärzte einen Impfkurs bei der Bayerischen Landesärztekammer absolvieren. Da müssen Sie dann schon viele Kinderwunschpatientinnen leitfadengestützt beraten, um die für den Impfkurs aufzuwendenden Kosten zu refinanzieren, geschweige denn eine Umsatzsteigerung in der Praxis zu erzielen.

Welch großes Misstrauen gegenüber den Gynäkologischen Praxen herrscht eigentlich seitens der KVB und der AOK Bayern? Für 10,- Euro sollen die teilnehmenden Praxen, sofern es davon einige gibt, in Praxisbegehungen (von wem? AOK-Mitarbeiter?) einwilligen. Da darf es nicht verwundern, wenn immer mehr Vertragsärzte sich nicht mehr mit der KVB identifizieren und dem System gern den Rücken kehren möchten.

Ob der Berufsverband der Frauenärzte e.V. Landesverband Bayern gut beraten war, diese von einer einzelnen niedergelassenen Gynäkologin angeregte Maßnahme positiv zu unterstützen, sollte kritisch hinterfragt werden.

Ich bin mir ganz sicher, dass die bayerischen Frauenärztinnen und Frauenärzte das kleine Einmaleins von Mathematik und Ökonomie gut beherrschen, um sehr schnell zu erfassen, dass der von Ihnen mit der AOK Bayern ausgehandelte Vertrag kein Gewinn für die Praxen sein wird, sondern eher als Ausdruck von Hohn und Spott seitens der KVB für die täglich von den Frauenärztinnen und Frauenärzten qualifizierte Patientinnenversorgung empfunden wird. Der hier thematisierte Vorgang gibt Anlass zur Hoffnung, dass die KV Bayerns nach Ihrem Ausscheiden hoffentlich einen Neuanfang im Sinne einer echten Interessensvertretung für die niedergelassen Vertragsärzte in Bayern startet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Helmut Klemm

 


 20. Oktober 2010

Kliniken in privater Trägerschaft –
Stimmt da auch immer die Indikationsstellung
zur stationären Aufnahme?

Immer mehr bisher in kommunaler Trägerschaft befindliche Krankenhäuser gehen über in den Besitz von Aktiengesellschaften oder privaten Trägerschaften. Ob daraus Menschen – die potentiellen Patienten – einen Nutzen ziehen können muss mit einem großen Fragezeichen versehen werden. War es früher üblich, an Wochenenden (Samstag und Sonntag) nur notfallmäßig ganz akute Fälle zu operieren, so ist heute fast schon der Regelfall festzustellen, dass zumindest an Samstagen ein regelrechtes Operationsprogramm von 8 bis 17 Uhr gefahren wird. Wenn dann gleichzeitig noch die Anzahl der Operationssäle baulich erweitert wird, stellt sich schon die Frage, ob denn immer auch die Indikationen für die durchzuführenden Operationen stimmen! Sowohl Aktiengesellschaften wie auch andere private Trägerschaften betreiben derartige klinische Einrichtungen nicht nur zum Wohle der sich ihnen anvertrauenden Patienten, sondern sie wollen in jedem Falle aufgrund ihres unternehmerischen Charakters eine Rendite erwirtschaften. Hier liegt also der Verdacht nahe, dass eine ausschließlich am Wohlergehen des Patienten orientierte Medizin dem ökonomischen Primat untergeordnet wird. Wenn Chefärzte einzelner Abteilungen betriebsintern gerügt werden, nur weil sie eine einstellige Rendite erwirtschaften, dann spricht das Bände.

Da passt es gut ins Bild, wenn derartig privatwirtschaftlich geleitete stationäre Einrichtungen fast schon regelhaft ein MVZ der stationären Einrichtung vorschalten. So befinden sich z.B. nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen 50 von insgesamt 73 MVZ im Besitz von Kliniken. Die primäre Aufgabe eines derartigen MVZ ist nicht, eine verbesserte fachärztliche Versorgung in der Region zu erreichen, denn diese ist bei der zur Zeit bestehenden Facharztdichte ohnehin gegeben. Vielmehr ist es Aufgabe dieses MVZ Patienten-Akquise für die stationär vorgehaltenen Betten zu betreiben.

Welche Lehren sollten aus dieser bedenklichen Entwicklung gezogen werden?
Die Gesellschaft und darüber hinaus der Gesetzgeber müssen sich ernsthaft überlegen, ob die aus ökonomischen Gründen rasant fortschreitende Umwandlung von kommunalen Einrichtungen in privatwirtschaftliche Krankenanstalten aus ethisch-moralischen Gründen gestoppt werden sollte, denn es gilt der alte chirurgische Grundsatz: Jede Operation ist eine Verabredung mit dem Schicksal. Darüber hinaus ist zu diskutieren, ob medizinische Versorgungszentren (MVZ) von privaten Investoren auch weiterhin unbeschränkt gegründet werden können, denn diese wollen zwangsläufig immer eine Rendite sehen.

Ferner sind die Ärzte selbst aufgefordert ggf. über den Gemeinsamen Bundesausschuss Regelungen dahingehend zu veranlassen, zwingend ein Zweitmeinungsverfahren vor operativen Eingriffen einzuführen.

Dr. med. Helmut Klemm


BSG-Urteil befürwortet ambulante Behandlung im Krankenhaus

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in Kassel zwei Klagen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gegen den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als unzulässig abgewiesen.
Streitpunkt waren die Voraussetzungen zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus nach §116 b SGB V.

Der G-BA hat unter anderem die Aufgabe, den in §166 b vorgegebenen Katalog der hoch spezialisierten Leistungen, der seltenen Erkrankungen sowie Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen zu konkretisieren. Dabei legt er die Einzelheiten zu Krankheitsbild und Behandlungsverlauf sowie die Anforderungen fest, die Krankenhäuser erfüllen müssen, um diese ambulanten Behandlungen anbieten zu dürfen. Zudem bestimmt der G-BA, in welchen Fällen eine Überweisung der Patientinnen und Patienten zur ambulanten Behandlungen im Krankenhaus durch die Hausärztin oder den Hausarzt oder die Fachärztin oder den Facharzt erforderlich ist.

Durch die bisherigen Beschlüsse des G-BA sind Gynäkologische Praxen für z.B. onkologische Erkrankungen, HIV/Aids von den Beschlüssen des G-BA unmittelbar betroffen.

Die KBV hatte versucht vor dem BSG durchzusetzen, dass die ambulante Leistungserbringung im Krankenhaus von einer gesicherten Diagnose und der Überweisung durch eine niedergelassene Fachärztin oder einen niedergelassenen Facharzt abhängig gemacht werden sollte. Denn die vom G-BA beschlossenen Regelungen lassen Verdachtsdiagnosen und Überweisungen auch durch eine Hausärztin oder einen Hausarzt zu. Dagegen hatte die KBV geklagt.

Das BSG hat eine grundsätzliche Klagebefugnis durch die KBV anerkannt. Inhaltlich wurden jedoch die vom G-BA erlassenen Beschlüsse nicht beanstandet. Damit ist ein weiteres Einfallstor seitens der Kliniken in die ambulante fachärztliche Versorgung geöffnet. Das bedeutet, dass rein formalistisch und auch zusätzlich auch politisch motiviert, die Hausärzte an den Fachärzten vorbei onkologische Erkrankungen in klinischen Einrichtungen behandeln lassen können.

Vielleicht sollte sich die eine oder andere Facharztpraxis zukünftig sehr genau überlegen, ob sie die onkologische Weiterbehandlung nicht doch besser bei niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen durchführen lässt, statt klinische Einrichtungen neben den hausärztlichen Überweisungen zusätzlich zu beschäftigen. Mit der immer stärker werdenden zusätzlichen Öffnung der Kliniken für ambulante Behandlungen ist ein Betätigungsfeld für die Kliniken eröffnet worden, das vielen niedergelassenen Gynäkologischen Praxen in der Zukunft noch größte Probleme bereiten wird und dieses Thema von diesen leider heute noch immer nicht richtig erkannt und richtig eingeschätzt wird.


15. Januar 2010

Die Honorarreform ist gescheitert
Das System funktioniert nur noch durch innerärztliche Umverteilung

Zunächst einmal darf ich Ihnen ein gutes Neues Jahr wünschen, besonders eine gute Gesundheit und beruflichen Erfolg, sofern das in diesen immer schwieriger werdenden Zeiten überhaupt noch möglich ist.

1. Politik
Ausblick 2010 – Entwicklungstendenzen im Gesundheitswesen (ein sehr kurzes Statement). Fast 200 Milliarden Euro werden die Krankenkassen (174 Milliarden die GKV, ca.
22 Milliarden die PKV) in 2010 im Deutschen Gesundheitswesen ausgeben. Vier große Gruppen (Player/Payer) sind in diesem Markt aktiv:
  • Krankenversicherer
 • Krankenhäuser
 • Ärzte
 • Pharmafirmen/Medizintechnikfirmen
Die Lobbyarbeit allein dürfte wegen der Geldnot des Staates, der Kommunen und der Bürger allein nicht mehr reichen.

Kliniken und niedergelassene Ärzte werden vernetzter arbeiten müssen, um bei niedrigeren Kosten gleich bleibende Qualität für die Versicherten bieten zu können. Weit mehr als die vermuteten 30 der rund 180 GKVen werden Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern einfordern müssen. Selbst größere Anbieter dürften in den nächsten Jahren in Existenznot geraten.

Welche Gruppen werden voraussichtlich die Hauptbetroffenen sein?
Im niedergelassenen Bereich werden es voraussichtlich die Fachärzte sein. Die Krankenkassen werden – das ist relativ sicher und politisch gewollt – im ambulanten Bereich beim Kostenblock der niedergelassenen Fachärzte ansetzen. Hier ist wegen deren Zerstrittenheit der geringste Widerstand zu erwarten und die Einsparmöglichkeiten sind am größten.

Die Hausärzte treten geschlossener als die Fachärzte auf und werden - politisch gewollt - weniger von Sparmaßnahmen betroffen sein (sie werden profitieren).

Auch den Klinikbetreibern, unabhängig ob privat oder öffentlich, steht in den nächsten Jahren eine Rosskur bevor. Weil viele Kliniken trotz aller Bemühungen zu teuer pflegen und heilen, es zudem regional unterschiedlich immer noch Überkapazitäten gibt, werden die
Übernahmen staatlicher Häuser durch private Klinikketten zunehmen. Die überlebenden Kliniken werden ihre Kosten weiter drosseln müssen.

Fazit: Auch wenn der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler erklärt, dass das Gesundheitssystem in kleinen Schritten reformiert wird, ergibt eine Analyse, dass die zu erwartenden weg brechenden Einnahmen der GKV bei gleichzeitig steigenden Ausgaben, zunehmender Verschuldung und einer sich dramatisch verändernden demografischen Entwicklung eine radikale und schnelle Reformierung gezwungenermaßen notwendig machen wird.